Neid der Nachbarn, kleine Anleitung 

Nachdem ich bemerkt habe, dass sich Nachbarn an Frauen auf****, die etwas für sich und ihre Figur tun, auch ins Fitnessstudio gehen, statt mit der Weinflasche auf der Couch zu hängen, fiel mir dieser Bericht ein…

Kommt Ihnen bekannt vor, was Patienten einer psychologischen Praxis hier zu Protokoll gaben? Als R. sah, dass sein Nachbar schon wieder ein neues Auto hatte, „hat mir das einen richtigen Stich versetzt“. Als G. zufällig erfuhr, wie hoch das Gehalt ihrer Kollegin war, „ist mir erstmal die Luft weggeblieben, und ich habe tief durchatmen müssen“. Als B. seinen Bruder zum ersten Mal in dessen neuen Wohnung besuchte, „musste ich ganz schön schlucken“.
Was Sie als Stich spüren, Ihnen die Luft nimmt oder einen Kloß im Hals verschafft, ist der blanke Neid. Und das wissen Sie.

Geben Sie Ihren Neid zu!
Lassen Sie sich von diesem Gefühl ab sofort nicht mehr länger quälen, sondern nehmen Sie es an – als Herausforderung. Und gehen Sie offensiv mit ihm um. Dafür müssen Sie lernen, Neidtoleranz zu üben. „Neidtoleranz ist die Fähigkeit, gelassen zu bleiben, wenn ich Neidgefühle bei mir oder auch bei anderen feststelle“, sagt der Frankfurter Professor Rolf Haubl, „und dass ich mich meines eigenen Neides nicht schämen muss.“ Ohne diese Fähigkeit sei es nicht möglich, Neid als ein Signal zu nutzen, das uns etwas über uns selbst verrät.

Aber: Glauben Sie nicht, dass das, was Sie leisten müssen, leicht sein wird. Es wird ein schmerzhafter und quälender Prozess werden, der womöglich länger dauert als Sie ahnen. Und: Es gibt keine Patentrezepte. Das, was hier vermittelt wird, können nur Denkanstöße sein, Hinweise, Strategie-Vorschläge.

Gehen Sie Ihrem Neid auf den Grund!
Wer einen anderen Menschen beneidet, der einen flotteren Wagen besitzt, mehr verdient oder schöner wohnt, der neidet ihm tatsächlich weniger die Güter. Sondern mehr noch das Glück und die Zufriedenheit, die Anerkennung und das Ansehen, was er, meint der Neider, mit solchen Besitztümern erlangt. Und denkt entsprechend weiter: Wie gut würde es erst mir gehen, wenn ich diesen Wagen, dieses Gehalt, diese Wohnung hätte!

Über Glück und Zufriedenheit aber entscheidet nicht materieller Wohlstand, ab einer bestimmten Höhe wenigstens. „Das haben“, sagt Professor Rolf Haubl, „zahlreiche Studien eindringlich bewiesen.“ So genannte externe Faktoren wie ein Lottogewinn oder eine Erbschaft erhöhen die Zufriedenheit nur kurzfristig, weiß auch Professor Dieter Frey. „Zufriedenheit und Glück“, sagt er, „sind meist unabhängig von äußeren Umständen.“

Neid ist vielmehr ein Alarmsignal, das aufheult, wenn das Selbstwertgefühl bedroht ist. Man lässt sich, indem man sich zwanghaft mit anderen vergleicht – und zwar ausgerechnet immer mit jenen, die etwas erfolgreicher, etwas reicher oder etwas attraktiver sind -, in eine Abwärtsspirale ziehen. Sie fühlen sich minderwertig, zwangsläufig – was objektiv gar nicht stimmen muss.

Ihre Psyche schlägt Alarm, weil sie unterbewusst merken, dass Ihr Leben nicht so ist, wie Sie es gern hätten. Ziehen Sie also Bilanz, fragen Sie sich, was im Lauf Ihres Lebens auf der Strecke geblieben ist. Vielleicht werfen Sie sich immer noch vor, nach dem Abi nie studiert zu haben. Nie den Motorradführerschein gemacht zu haben, obwohl Sie soch danach gesehnt hatten, mal auf dem Bock quer durch Amerika zu brummen. Oder Sie haben sich mal ausreden lassen, das Klavierspiel zu lernen, ein Hobby, mit dem Sie ein zufriedener Mensch hätten werden können.

Klären Sie den Typ Ihres Neides!
Warten zwei Freunde an einer Bushaltestelle. Da brummt langsam ein schwarzer Mercedes 500 vorbei, am Steuer ein junger Mann mit gegeltem Haar. Sagt der eine: „So einen werde ich auch mal fahren, irgendwann.“ Sagt der andere: „Dieser Arsch geht auch noch mal zu Fuß.“

Und? In wem erkennen Sie sich eher wieder? In dem einen oder in dem anderen? „Die Extreme auf der Neid-Skala sind schwarz und weiß“, sagt der Münchner Psychologie-Professor Dieter Frey. Der schwarze Neid ist zerstörerisch in jeder Hinsicht: „Man missgönnt einem anderen etwas, weil man in einer Konkurrenzbeziehung zu ihm steht und gleichzeitig glaubt, es selbst nicht bekommen zu können – man verwünscht den anderen, weil er es hat.“ Oder versucht es ihm gar kaputt zu machen – wenn ich es nicht haben kann, soll es der andere auch nicht haben. Während der weiße Neid dagegen wie ein Motor funktioniert: „Er treibt an zu Aktivität und Kreativität und macht im besten Sinne ehrgeizig.“ Bewunderung als Triebkraft: Das will ich auch schaffen!

Neben dem feindselig-schädigenden Neid (also dem schwarzen) und dem ehrgeizig-stimulierenden Neid (dem weißen) hat Freys Frankfurter Kollege Rolf Haubl noch zwei weitere Neid-Varianten ausgemacht: den depressiv-lähmenden, der traurig und hoffnungslos macht, und den empört-rechtenden, der das Gerechtigkeitsgefühl anregt und auf Veränderung drängt – und deshalb eher als positiv gilt.

Wie kann aus dem gefährlichen schwarzen Neidhammel ein weißes Schäfchen werden? Wie lässt sich der depressiv-lähmende Neid in einen stimulierenden Impuls verwandeln, der Adrenalin und damit notwendige Energie freisetzt?

Schauen Sie genauer hin!
„Neidische Augen sind unersättlich, sie sehen nur, was sie sehen wollen“, schreibt die amerikanische Psychologin Betsy Cohen in ihrem Buch „Der ganz normale Neid“, „Neid sieht niemals, was ein Mensch für seinen Erfolg hat zahlen müssen oder woran er trotz seines Erfolges leidet.“

Angenommen, Sie neiden einem Kollegen die Beförderung und das damit verbundene höhere Gehalt. Aber tatsächlich wissen Sie doch, dass er mehrere Fortbildungskurse gemacht hat, vor denen Sie sich gedrückt haben. Dass er morgens schon immer an seinem Schreibtisch saß, als Sie ins Büro kamen. Und dass er meist noch da saß, während Sie „Ciao“ sagten und sich mit Ihrer Freundin trafen. In seiner neuen Position wird er Konferenzen leiten, vor vielen Menschen reden und häufig reisen müssen – was Ihnen eher ein Gräuel ist. Und? Wollen Sie mit ihm tauschen?

Sie beneiden Ihre attraktive Nachbarin, die einen so straffen und durchtrainierten Körper hat, dass sich ständig die Männer nach ihr umdrehen. Aber Sie gehen auch nicht abends zwei Stunden ins Fitnessstudio wie sie.

Wären Sie bereit, einen ähnlichen Einsatz zu bringen wie Ihr Kollege, wie Ihre Nachbarin?

Relativieren Sie!
Warum sind Sie auf Ihren Freund neidisch, der gerade mit seiner Freundin eine gemeinsame Wohnung bezogen hat? Trösten Sie sich. Eine so feste Bindung hat einen großen Vorteil und einen großen Nachteil. Vorteil: Man ist nicht mehr allein. Nachteil: Man ist nicht mehr allein. Und schließlich muss er, weil Sie so viel nun auch wieder nicht verdient, die gesamte Miete zahlen.

Oder der Typ von gegenüber, der sich diesen sündhaft teuren Oldtimer zugelegt hat. Was neiden Sie ihm? Die drei Kilometer entfernte Garage, die er jetzt noch dazumieten musste? Dass er das Gefährt nur bei Sonnenschein bewegen kann – und dann auch nicht länger als zwei, drei Stunden? Weil er es nirgendwo parken will, weil er Angst hat, dass ihm irgendein Neider über den Lack kratzt?

Wo Licht ist, ist immer auch Schatten. Das wird auch auf dem Boulevard und in der Yellow Press genüsslich ausgeweidet. Da lesen und sehen Sie, wie prächtig der Filmstar XY wohnt – und wie es seinem drogensüchtigen Sohn geht. Oder wie umjubelt die Sängerin YZ wieder war – und jetzt diesen Millionen-Ärger mit dem Finanzamt hat. Warum lesen und sehen Sie so was ganz gern? Weil Sie dabei aufatmen und sich sagen können: Ich kann zwar nicht so leben wie die, habe dafür aber auch keine drogensüchtigen Kinder oder eine Anklage wegen Steuerhinterziehung am Hals.

Trauern Sie um Ihren Mangel!
Was man mit Sicherheit nicht mehr erreichen kann, muss man betrauern – und abhaken. Wenn Sie 50 sind, werden Sie kein Kind mehr gebären können wie ihre 39-jährige Freundin vor zwei Wochen. Und wenn Sie nur 1.60 messen und 61 sind, werden Sie es im Nachtclub kaum mit diesem blonden Adonis aufnehmen können, der hier so begehrt ist. Nur wer sich das eingesteht, kann trauern – und nach der Trauerphase wieder leben.

Erkennen Sie Ihre Stärken und Talente!
Wenn Sie die Leistungen anderer nur mit dem Vergrößerungsglas betrachten, ihre eigenen aber ausnahmslos mit dem umgedrehten Fernrohr, dann müssen Sie sich schwach und minderwertig fühlen – die ideale Brutstätte für Neid. Wer dagegen sich selbst und seine Fähigkeiten und Vorzüge zu schätzen weiß, wird weniger anfällig sein. Was können Sie, was andere weniger können? Worum schätzt man Sie?

Schreiben Sie auf, was Sie für Ihre Vorzüge halten. Was Ihre Familie, was Ihre Freunde und Bekannten an Ihnen lieben. Fragen Sie doch einfach mal Ihre Freunde, was sie für Ihre Stärken halten, worum sie Sie womöglich sogar beneiden könnten. Sie werden sehen, dass da einiges zusammenkommt, worauf Sie stolz sein können. Und was Ihr Selbstwertgefühl wieder ins Lot bringt.

Setzen Sie Prioritäten!
Stellen Sie fest, wen Sie beneiden und wofür. Ob Sie wirklich Karriere machen wollen wie Ihr Kollege, der zwar mehr verdient, aber wegen des Stresses schon einen Hörsturz erlitten hat und gerade in Scheidung lebt. Oder ob Sie das regelmäßige Abendessen mit Frau und Kindern und die Wochenenden auf dem Land vorziehen – und dafür halt weniger in der Tasche haben.

Schreiten Sie zur Tat!
Okay, Sie haben sich entschieden. Mehr zu verdienen. Attraktiver zu werden. In jenem Stadtteil zu wohnen, wo Sie schon seit langem leben wollten. Cello spielen zu können. Endlich italienisch zu lernen. Wenn Sie wissen, was Sie wollen, setzen Sie sich Ziele. Aber nur solche, die realistisch sind, die Sie auch erreichen können. Wenn auch mit viel Aufwand und Anstrengung.

Legen Sie beruflich los, analysieren Sie, was Sie können und wo Sie besser werden müssen. Nutzen Sie alle Möglichkeiten, um besser zu werden, mehr zu leisten. Und laden Sie den Kollegen, den Sie beneidet haben, mal zum Bier ein, lernen Sie ihn kennen – und verbünden Sie sich im besten Fall mit ihm.

Nehmen Sie sich morgens die Stunde, um regelmäßig zu laufen. Melden Sie sich im Fitnessstudio an – und gehen Sie auch hin. Peitschen Sie Ihren inneren Schweinehund, wenn der nicht will. Sie müssen ihn besiegen. Auch beim Klavierunterricht und auf der Fremdsprachenakademie, wo Sie büffeln und hinterher noch spätabends Vokabeln lernen.

Ihre gesamten Anstrengungen könnten sogar zur heilsamen Überlegung führen, so Professor Rolf Haubl, „ob Sie nicht einen ganz anderen Lebensentwurf ausprobieren sollten, einen, der Sie glücklicher und zufriedener macht“.
Von Werner Mathes, entnommen aus dem Stern 
09. November 2007 15:00 Uhr