Man rennt durchs Leben, weg von den Eltern, der Schule, mit dem Partner, den Kindern hinterher und dann ganz weg. Meistens weg vom Partner, oder von uns selbst. Immer mit der Entschuldigung, es würde nicht „passen“. Aber was passt eigentlich nicht? Der Anspruch an sich selbst? Die Erkenntnis, dass man immer älter wird und man dann doch nicht das erreicht hat, was man wollte? Chronische Unzufriedenheit? Die Sucht nach Annerkennung, weil das eigene Ego einem Streiche spielt? Angst? Auch die ist breit gefächert und hat meistens mit unserer Vergangenheit zu tun. Sie ist es auch, die uns das Tempo vorgibt, in der wir rennen.
Irgendwann in einem Krankenbett, fest verpflastert, weil ich wieder einmal fast verblutet wäre und einer Krebsdiagnose in der Hand, setzte ich einen Status ins Netz: „Bin hier im Krankenhaus. Entschleunigt!“
Entschleunigt. Wobei das Wort eigentlich stark untertrieben war. Es war eher ein „frontal gegen eine Wand geknallt…“ oder “ implodiert“! Niemand versteht das eigentlich besser, als die Menschen, die es mitmachen müssen. Dieser Zustand und Schock ist ein kurzer Tod und das Erkennen des ganzen Universums in Minuten.
So ist es noch immer, es blieb. Das Erkennen des Sinns und mittlerweile bin ich dankbar für diese Erkenntnis. Der Preis dafür war natürlich unzumutbar, fatal, eine Katastrophe für meine komplette Familie, meine Kinder…
Aber um die Spannung hier herauszunehmen, ich bin wieder gesund, der Krebs ist besiegt und ich werde nicht an diesem Krebs sterben.
Nun könnte man sagen :“Ist doch toll, dann geht das Leben ja weiter, die Sache ist vorbei, belasten wir uns nicht mehr damit und gut. Trauma abgeharkt, Resillienz aufgebaut, fertig. Weiter im Text!“
NEIN! Nichts geht an dieser Stelle weiter oder ging. Ich schmiss oder auch fairerweise „musste ich schmeissen“, mein Leben komplett über den Haufen. Achtzehn Chemos und zweiunddreissig Bestrahlungen später, einer „adjuvanten“ Therapie, wie es genannt wurde, war ich quasie komplett kaputt. K a p u t t! Mein Leben ein Trümmerhaufen, meine Kinder vollkommen vertört und verzweifelt und mein so furchtbar ‚besorgte und kümmerndes‘ Umfeld eigentlich eher eine Belastung. Anstatt mich in Ruhe zu lassen, wollte man ziehen und zerren um mir mit aller Gewalt Ruhe verschaffen. Das Grausamste war eigentlich, dass man versucht hat, mir meine Kinder wegzuzerren, ohne zu verstehen dass ich ohne meine Kinder nicht leben wollte und mich das Kämpfen um sie und ein gutes Leben krank gemacht hat. Mittlerweile sehe ich milde auf diese Menschen, denn ich weiß, dass es jeden einzelnen ebenfalls treffen wir. Nennt man Schicksal, oder Karma, oder ? Oder einfach DAS LEBEN.
Wir haben es überlebt. Meine Kinder mehr und lebendiger als andere.
Wir haben aufgehört zu rennen. Aufgehört uns mit Druck einer Sache unbedingt und absolut anzunehmen. Sicher gibt es Ziele, aber die kommen auch ohne dass man darauf zurennen muss. Man kann spazieren, sich links und rechts die Bäume und Blumen dabei betrachten. Jeden Atemzug geniessen und damit aufhören, das Tempo oder die Art des Weges irgendjemandem recht zu machen.
Es ist ein hartes Stück Arbeit jedem zu erklären, dass das Rennen, das Wegrennen und jede Art von Flucht immer genau das ist, – eine Flucht.
Aufhören zu flüchten und zu verstehen, zu sehen, zu genießen und zu begreifen, dass wir alle irgendwann sowieso ans Ziel kommen, das ist die Kunst, in unserer Zeit zu überleben.