Meine erste Diskriminierung habe ich erlebt. Das war so unglaublich, dass ich mir ernsthaft Gedanken über unsere Gesellschaft mache.
Ohne Haare trage ich eine Mütze, man sieht nicht, dass sie weg sind. Augenbrauen und Wimpern sind noch da. Ich bin immer sehr gut angezogen und geschminkt. Der Stolz stirbt bekanntlich zuletzt.
Da ich ein künstlich lahmgelegtes Immunsystem habe, muss ich mich entweder extrem von kranken Menschen fern halten, oder Mundschutz tragen. Das sieht immer etwas blöd aus und ich vermeide es lieber.
Wartezimmer bei Ärzten sind tabu. Ich warte irgendwo separat, oder darf direkt rein. Jede Infektion mit etwas, kann mich umbringen.
Nun musste ich aber vier Stunden auf ein Gespräch in der Gynäkologie meines Krankenhauses warten. Man erklärte mir, dass das okay sei, da hier nur Besprechungen vor Chemotherapie oder Operationen stattfinden und keiner krank sei. Gut, ich bin geduldig.
Dann kam eine öffentlich stark erkältete Frau, mit extremen Husten und hockte sich neben mich und fing an, laut und unhygienisch zu hantieren. Wie von der Tarantel gestochen floh ich und setzte mich in die Sitzgruppe am Ende des Flurs.
Vor den Kreissaal.
Kaum saß ich zwei Minuten, begann eine schwangere Frau, mitte Dreißig etwa, bestellt zum geplanten Kaiserschnitt, allein und einem kleinen Köfferchen, mich zu fixieren. Sie hatte ein Buch über vegane Ernährung von Kindern in der Hand.
Dann ging es los!
Was ich mir denken würde, sie als Schwangere, mit meinem Erscheinungsbild zu b e l ä s t i g e n ?!
Sie war laut, wurde rot im Gesicht und schrie fast dabei. Sachen, die ich gar nicht wiederholen mag, und auch nicht registriert habe. Ich saß nur versteinert mit aufgerissen Augen und musste meinen Unterkiefer mit der Hand hochklappen.
Das allererste Mal in meinem Leben fühlte ich mich hilflos. Noch nie stand ich so leer und verbal ausgenockt vor einer keifenden Frau. Eine Schwarz- Afrikanerin mit einem wunderschönen senffarbenem Kleid und dem passendem Turban auf dem Kopf, erhob sich von der gegenüberliegenden Reihe und setze sich neben mich. Die Schwangere keifte weiter, ließ ihr Köfferchen stehen und rannte zur Anmeldung. Der Mann der Afrikanerin, ebenfalls sehr bunt und schön gekleidet setze sich neben seine Frau. Er hatte eine Glatze und keinerlei Kopfbedeckung.
Die Schwangere kam mit einer Arzthelferin zurück und deutete auf mich: „… ich finde das unverschämt, sich als Krebspatientin hier hin zu setzen! Haube auf dem Kopf und nicht schwanger!“
Ich war noch immer sprachlos. Die Arzthelferin perplex und sehr jung.
Ich sah aus dem Augenwinkel, wie sich der Afrikaner erhob. Langsam würdevoll. Er blickte die beiden an und sagte völlig akzentfrei: „Oh………..ich wusste nicht, dass man in Deutschland auch wegen fehlender Haare Diskriminierung erfährt, ist das ansteckend?“ Seine Frau nahm ihre Hand und zog sich den Turban vom Kopf, darunter ein glattrasierter Schädel. Die junge Arzthelferin riss den Mund auf.
Die Schwangere, offensichtlich etwas geistig schlicht, setze einen drauf: „Sie meine ich ja nicht! Ich meine ja die da!“ zeigte auf mich.
Die Frau neben mir, nahm mich am Arm und zog mich vom Stuhl. Mit einer sehr angenehmen, ebenfalls fast akzentfreien Deutsch sagte sie: „Ich wusste auch nicht, das Krebs ansteckend für Babys im Mutterleib ist. Es tut mir leid, ich habe Brustkrebs und ich entschuldige mich, wenn ich Ihnen jetzt böse Krankheiten geschickt habe!“ Sie lächelt etwas und sagte zu mir: „Kommen Sie, wir gehen einen Kaffee genießen!“
Ich noch immer unfähig etwas zu entgegnen.
Im Weggehen sagte der Mann zu der Schwangeren : „Ein Schwarzer Mann ohne Haare ist also kein Problem?“ Ohne eine Antwort gingen wir den Flur entlang und erst im Aufzug sah ich, das Madiba keine Wimpern mehr hatte.
Es wurde ein wunderschöner Vormittag.